Von Michael Springer
Zwei Berliner Bezirksämter versuchen, sich per Selbsteinschätzung (im sog. Eigenaudit) des Umwelt- und Naturschutzamtes in ersten Schritten der „Gemeinwohlökonomie.“ — Diese wird nach den Ideen des GWÖ-Vereins Berlin-Brandenburg auf komplexe Wertegrundlagen gestellt, und mit nutzwertanalytischen Methoden und Soll-Ist-Vergleichen optimiert. Leitvision: „Gut leben in einer Welt, in der die Wirtschaft im Einklang mit ethischen Werten ist.“
Die Gemeinwohl-Ökonomie wird nach den Worten der Initiative so beschrieben:
„ … auf wirtschaftlicher Ebene eine lebbare, konkret umsetzbare Alternative für Unternehmen verschiedener Größen und Rechtsformen. Der Zweck des Wirtschaftens und die Bewertung von Unternehmenserfolg werden anhand gemeinwohl-orientierter Werte definiert.
… auf politischer Ebene ein Motor für rechtliche Veränderung. Ziel des Engagements ist ein gutes Leben für alle Lebewesen und den Planeten, unterstützt durch ein gemeinwohl-orientiertes Wirtschaftssystem.
Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung sind dabei die zentralen Werte.
… auf gesellschaftlicher Ebene eine Initiative der Bewusstseinsbildung für Systemwandel, die auf dem gemeinsamen, wertschätzenden Tun möglichst vieler Menschen beruht. Die Bewegung gibt Hoffnung und Mut und sucht die Vernetzung mit anderen Initiativen.
Sie versteht sich als ergebnisoffener, partizipativer, lokal wachsender Prozessmit globaler Ausstrahlung – symbolisch dargestellt durch die Löwenzahn-Sämchen im Logo.“
Dazu wurde ein Gemeinwohlbilanzierung aufgestellt, die mit einem Gemeinwohlbericht und den Peer Reviews den Prozess der Gemeinwohlzertifizierung des Umwelt- und Naturschutzamtes von Treptow-Köpenick vorerst abgeschließt.
Der Gemeinwohlbericht Peer Review 2022 für das Umwelt- und Naturschutzamt kann im Internet eingesehen werden.
Kritisch anzumerken ist dabei die Methodensicht des GWÖ-Vereins, die im Prinzip nur offen meinungs- und wertebasiert mit der Gemeinwohlbilanz und nicht explizit wirkungsorientiert arbeitet. Damit handelt es sich um eine vorwiegend politische, partizipatorische und an individuellen Akteuren orientiert Methodik-
Objektive Wissenschaft ist es nicht. Praktisch gibt es nur eine nutzwertbasierte Objektivierung von sachlichen Entscheidungen und persönlichen Präferenzen von teilnehmenden Akteuren.
Wissenschaftlichkeit, objektive Evidenz und systemare Langfristeffekte werden dabei offenbar gar nicht erfasst, ebensowenig wie „weiße politische Wahrnehmungslücken.“ — Ganz offenbar gibt es noch keine Ethik und Erkenntnis zur existenziellen Notwendigkeit der Notbewässerung von Stadtbäumen im Anwendungsbereich des Umwelt- und Naturschutzamtes.
Schwindendes Baumkronenvolumen als Ergebnis staatlicher Aktivitäten zur Klimaanpassung
Eine „weiße Wahrnehmungslücke“ in der Berliner Grünpolitik besteht im Umgang mit Straßenbäumen, die mit ihren ökologischen Ausgleichswirkungen mikroklimatisch unersetzbar sind. Von gut 439.000 Straßenbäumen Anfang des Jahres 2015 ist die Zahl auf gut 430.000 Ende des Jahres 2020 gesunken. Insgesamt sind in Berlin im Vorjahr rund 3600 Straßenbäume gepflanzt worden – gefällt wurden dagegen rund 4800.
Der Zustand vieler Straßenbäume ist schlecht, offenbar so schlecht, dass keine neueren Zahlen mehr erhoben werden und erst die nächste Infrarot-Luftbildkartierung im Jahr 2024 abgewartet werden muss.
In der Otto-Suhr-Allee zeigt der Zustand einer über 96 Jahre alten Lindenallee exemplarisch auf, was in der Berliner Grünpolitik schief läuft und zu einem massiven Rückgang der Straßenbäume führt;
Linden-Sterben in der Otto-Suhr-Allee durch unterlassenes Wässern in Gang gesetzt
Ganz offenbar wird es gescheut, Geld, Personal und Gerät zum Wässern einzusetzen. Selbst unmittelbar vor einem Rathaus Charlottenburg, und einer für das Stadtbild höchst bedeutsamen Lindenallee, wird die wichtigste Maßnahme zur Baumerhaltung ausgesetzt.
Die hehren Worte der „Charta für das Berliner Stadtgrün“ helfen offenbar nicht weiter, denn die Ausstattung der zuständigen Ämter bleibt unzureichend.
Auch die CityLab-Anwendung „Giess den Kiez“ hält nicht das, was sie verspricht, denn sie verlegt die Verpflichtung zum Wässern in die Ebene von privaten und bürgerschaftlichen Engagement. Dem stehen jedoch Appelle zum Wassersparen entgegen, was das Engagement ausbremst.
Auch der neue Berliner Atlas zu Umweltgerechtigkeit hilft noch nicht weiter, denn hier wird nur die Verteilung der Umweltbelastungen im Stadtgebiet veröffentlicht.
Zudem wird die Straßenbaum-Bilanz in Berlin nur nach Stückzahlen geführt, nicht etwa nach „Baumkronenvolumen“ und „Beschattungseffekten.“

Die Grünen-Politikerin Silke Gebel, Fraktionsvorsitzende im Berliner Abgeordnetenhaus, setzt daher ihre Prioritäten falsch. „Berlin brauche Hitzeaktionspläne für alle Politikbereiche“, sagte sie gegenüber dem Tagesspiegel hinter der Abo-Paywall. Grundsätzlich brauchen wir in den Kiezen ein Recht auf Schatten, und sie kann sich vorstellen, Tücher über Straßen zu spannen!
Die wichtigste Maßnahme zum Erhalt bisheriger, mächtiger und alter Baumkronen wird politisch nicht bedacht: „Wässern und Notbewässerung“ bei Extremdürre und an Hitzetagen.
So tun sich in Berlin zwei Systemfragen zur Glaubwürdigkeit der Grünpolitik auf:
„Wie viele Straßenbäume könnten noch über lange Jahre über die Zeit gerettet werden, wenn es eine staatliche Verantwortung für die Bewässerung in extremen Hitzeperioden gibt?“
„Wer übernimmt die Verantwortung, freiwillig, unternehmerisch und kommunal gemeinschaftlich die Notbewässerung von erhaltenswerten Stadtbäumen abzusichern?“
Klimatische Ausgleichsleistungen von Straßenbäumen und ihre Bilanzierung und ökologische Straßenbaum-Bilanz
Die positiven Wirkungen von Straßenbäumen werden hier noch einmal in Erinnerung gerufen.
- Abkühlung und Reduzierung sommerlicher Hitzebelastungen durch Beschattung und Verdunstung
- Filterung von Luftschadstoffen und Feinstäuben durch die Blätter
- Rückhaltung von Starkregen in der Baumkrone (Interzeption)
- Fixierung von CO2 (Photosynthese) und Speicherung von Kohlenstoff in Holz und Biomasse
- Luftbefeuchtung durch Transpiration.
- Messbarer Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasen.
Um den schleichenden Substanzverlust der grünen Infrastruktur zu stoppen, müssen künftig ökologische Straßenbaum-Bilanzen aufgestellt werden, die z.B. den Verlust an Kronenvolumen bei einer Baumfällung mitbilanzieren und angemessener als bisher mit Neupflanzungen ausgleichen.
Beispiel: die Fällung einer 20 m hohen Kastanie wäre dann etwa mit 5-10 Neuanpflanzungen auszugleichen, um ein vergleichbares Kronenvolumen und eine vergleichbare Schatten- und Kühlungswirkung in Gebieten mit hoher Umweltbelastung zu erreichen!
Das methodische Instrumentarium ist dazu vorhanden.
Der virtuelle Baum und digitale Modellierung der Ökosystemleistungen eines Baumes
Wichtige Daten der Ökosystemleistungen von Bäumen können gut mit Modellierungs-Tools abgeschätzt werden. Die Internetanwendung „Der virtuelle Baum“ von Stephan Rast (Genthin) ermöglicht es, die Parameter eines Baumes, speziell der Baumkrone, virtuell darzustellen und zu berechnen.
Um künftig zu besseren Gemeinwohlbilanzen zu kommen, sollte die Berechnung des Kronenvolumens in jedem Gutachten zur Baumfällung enthalten sein, um den Verlust an Kronenvolumen, Schatten- und Kühlungswirkung bilanzieren zu können.
Die Software i-Tree Eco bietet umfassende Wald- und Einzelbaumanalysen, um etwa die Verluste einzelner Ökosystemgrößen bei Baumfällungen konkret abzuschätzen.
Eine Modellierung ausgewählter Ökosystemleistungen von Stadtbäumen auf Basis kommunaler Baumkataster ist prinzipiell möglich, wird jedoch wegen des Aufwands in Berlin nicht geregelt durchgeführt.
Bereits auf der Tagung „Urbane Biodiversität – Grüne und Blaue Infrastruktur“ am 23./24. März 2017
an der Universität Essen wurden detaillierte Erkenntnisse und Methoden diskutiert und veröffentlicht:
„Städtische Baumbestände unter der Lupe -was wissen wir über ihre Ökosystemleistungen und was sollten wir wissen?“
Ökologische Straßenbaumbilanzen haben Priorität in Berlin
„Gemeinwohl-Bilanzen“ ohne methodisch gesicherte „Ökologische Straßenbaumbilanzen“ sind in Ämtern mit Kernzuständigkeiten für Bäume, Stadtbäume und Straßenbäume unzureichend! — In Zeiten mit Extremdürre, Personalknappheit und knappen Finanzmitteln sollte die effektive Notbewässerung von Straßenbäumen in urbanen Belastungsbereichen höchste Priorität bekommen! — Nur so kann eine „grüne Politik der Sonnensegel“ in Berlin abgewendet werden!
Denn bisher schwindet das Grünvolumen der Berliner Straßenbäume sehr viel schneller, als die Zahl der Neupflanzungen ausprägen kann!
Als erste und einfache Maßnahme wäre die Ermittlung des Kronenvolumens in jedem Baumfäll-Gutachten zwingend methodisch vorzuschreiben. Mehr als eine Nebenleistung und 5 Honorar-Minuten fallen nicht an.
In Zusammenarbeit mit dem Bundesverband der Baumschulen und Baumpflege-Experten sollten auch Ausgleichstabellen für die typischen Stadtbaum-Gehölze einschließlich ihrer klimatologischen und ökologischen Regulationsleistungen aufgestellt werden.
Maßstab müssen Kronenvolumen und Kronenvolumenzuwachs werden, damit künftig für jeden gefällten Altbaum auch adäquate Neupflanzungen begründet und finanziert werden können.
Die Charta für das Berliner Stadtgrün muss deshalb künftig auf Basis ökologischer Straßenbaumbilanzen erstellt werden. — Ausgleichsmaßnahmen für Baumfällungen auf privaten Grund und Boden müssen ebenso bemessen werden.