Mittwoch, 24. April 2024
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Braucht Berlin eine neue Städtebau- und Bodenpolitik?

Die schwebende Stadt in Moskau

/// Kolumne /// – In Berlin sind die Baulandpreise, Baukosten und Mieten geradezu explodiert. Sprudelnde Steuereinnahmen verdecken noch die heranwachsende kritische Lage der Stadtgesellschaft, die steigende soziale Lasten und externe Effekte der Bodenverknappung und Preisentwicklung abfedern muss. Unbesetzte Ausbildungsplätze, Fachkräftemangel und steigende Sozailausgaben sind sichbar Zeichen, großer sozioökonomischer Veränderungen. Neben der Mieterverdrängung ist die stetige Umwandlung der Stadtökonomien von Arbeits-, Dienstleistungs- und Produktionsökonomien hin zu Kapital-Anlage- und Zinsökonomien und Rentenökonomien ein bedenklicher Megatrend. Die Stadtgesellschaft spaltet sich, selbsttragfähige Ökonomien geraten unter Druck. Während die eine Hälfte der Stadtgesellschaft monazlich Überschüssen und Zimsgewinne realisiert, muß die andere Hälfte die Kosten der Entwicklung tragen, und ist immer mehr aus staatliche Unterstützungen angewiesen.

Dies hat weitere Folgelasten, steigende Steuern und Abgaben sorgen auch für weiteren Preisauftrieb. Praktisch wird der wirtschaftliche Aktionsraum dabei eingeschränkt: nur noch für spekulative Investitionen und institutionelle Anleger verfügen über das notwendige Kapital und Durchhaltevermögen, um erfolgreich zu investieren.

Da der Grundstücksmarkt keine wirksamen Hürden für Geldwäsche und Anlage von „Fluchtgeldern“ hat, wird der Immobilienmarkt auch durch unfairen Anlegerwettbewerb und „Mondpreise“ verzerrt. Die Möglichkeit der Kapitalanlage in Share-Deals sorgt zudem für immer neue Konglomerate, bei denen im konkreten Fall eine „bodenständiges Eiscafé-GmbH“ und ein ausländischer Oligarch zueinander finden, um Grunderwerbssteuer zu sparen. Beim nächsten Grundstücksgeschäft weren Höchstpreise geboten. So werden wirtschaftlich denkende „Investoren mit Konzept und Eigenkapital“ verdrängt, die in der Regel auch ein „Gesicht“ und „tragendes Geschäft“ in der Stadt zeigen.

Dies hat Folgen für die gesamte Stadtentwicklungspolitik, weil sich eine „veränderte Planungs- und Genehmigungskultur“ mehr und mehr einspielt, in der Baustadträte, Bezirksparlamente und Abgeordnetenhaus das Primat der Planungshoheit Stück um Stück aus der Hand geben. Finanzsenator, Regierender Bürgermeister und Finanz- und Beteiligungsausschüsse winken sogar Vorabsprachen und „Letter of Intents“ durch, und schließen so auch noch Planungswettbewerbe und Konzeptverfahren aus.

Stattdessen gehen „Etatismus“, „Rekommunalisierungsstrategien“ und „Finanzpolitik“ eine unheilige Allianz ein. Die Verwertung landeseigener Liegenschaften wird angesichts von rund 58 Milliarden Verbindlichkeiten der Stadt Berlin priorisiert. Gesamtwirtschaftliche Chancen und Synergien kommen nicht zum Tragen, die sich nur in einer kooperativen Planungs- und Investitionskultur gemeinsam mit „Investoren mit Konzept und Eigenkapital“ realisieren lassen.

Inzwischen fehlt für die notwendige Transformationsphase der Stadtentwicklung und für die Anwendung der notwendigen innovativen Vergabe- und Genehmigungs-Verfahren die Fachkräfte. Vor ellem fehlen Beamte in Bau- und Planungsbehörden, die Genehmigungsverfahren auch eigenständig steuern und rechtssicher handhaben können.

Stadtentwicklungspolitik und Kohärenz im EU-Binnenmarkt

In Berlin muß daran erinnert werden, dass der „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUV-Vertrag) gilt, und auch in allen wichtigen Rechtsgebieten angewendet werden muss.

Das Kohärenzgebot nach Art 7 (AEUV) wird in Berlin aber in wichtigen Teilen verletzt, etwa in der Wettbewerbspolitik, der Sozialpolitik, der Transparenz und der Kontrolle von „staatlichen Beihilfen“ (Art. 107 AEUV), etwa bei Grundstückvergaben und unzureichender Planungswertabschöpfung. Dies ist eine Folge von Sparpolitik und Kompetenzabbau in den Senatsverwaltungen, aber auch von politischen Desinteresse, Gemeinwohl, Stadtentwicklung und Synergien des gesamtwirtschaftlichen Wohlstands in Gang zu bringen und entsprechenden Kooperationsstrategien für mittelständische Investoren, Baugruppen und Unternehmen aufzulegen.

Transformation zu nachhaltiger Stadtentwicklung und sozialen Lebens- und Wirtschaftsformen

Angesichts des fortschreitenden Klimawandels stehen Wirtschaftsentwicklung und Stadtentwicklung vor eine Transformationsphase, in der auch die Paradigmen und Dogmen des funktionalen Städtebaus überprüft und fortentwickelt werden müssen. Jenseits einer reinen Wachstumsorientierung werden neue Leitbilder der Gemeinwohlorientierung, der sozialen Inklusion und Umweltverträglichkeit gesucht. Architektur, Raum- und Planungswissenschaften und Stadtentwicklungspolitiken müssen sich auf eine Postwachstumsphase einrichten. Nachhaltigkeitsfragen und der Umgang mit der „Ressource“ Fläche/Boden bekommen mehr Vorrang. Neben dem Klimawandel rückt die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und der global fortschreitende Ressourcenverbrauch in den Mittelpunkt.

In der aktuellen Bau- und Stadtplanung spielen Konzepte der „Green Economy“ und der „Sharing Economy“ sowie gebaute Vorstellungen von „Qualitativem Wachstum“ oder „Smart Growth“ bisher nur eine Nebenrolle, obwohl hier in Berlin hunderte Architekten, Ingenieure und Akteure der Bauwirtschaft hier an innovativcen internationalen Projekten arbeiten.

Im Metropolentaum Berlin-Brandenburg sind auch innovative Transformations-Strategien von Stadt-Land-Beziehungen durch Grenzziehung und unterschiedliche Raumordnungspolitiken zweier Bundessländer Berlin und Brandenburg blockiert. Statt sozialer Bodenordnungspolitik und Stadt-Umland-Ausgleich wird der „Sozialausgleich in der Wohnungspolitik“ mit dem Umzugswagen gefördert.

„It´s Stadtpolitik! – Stupid!“

Berlin wird von drei etatistisch orientierten Parteien regiert, die zentrale Zuständigkeiten der Stadtentwicklungspolitik sektoral unter sich aufgeteilt haben. Bauen und Wohnen, Klima, Umwelt und Verkehr, Wirtschaft und der Bau von Schulen und Infrastruktur. Koordinierende Gesamt-Planung und leitbildorientierte Stadtentwicklungspolitik bleiben auf der Strecke.

Die Ära gesamtstädtischer, leitbildorientierter Stadtntwicklungspolitik seit 1920 ist spätestens 2015 mit der Umsetzung des Sonderbaurechts für Flüchtlingsunterkünfte und Modulare Unterkünfte zu Ende gegangen.

Die auf 890,61 Quadratkilometer begrenzte Landesfläche wächst nicht! Stattdessen werden bauliche Verdichtung, Nachverdichtung und exorbitante Gewinnsteigerung zu Hauptfaktoren des Stadtumbaus, sowie die Verringerung des individuellen CO2-Fußabdrucks der Bewohner.
Heute verzettelt man sich: die begomnene Umorientierung zu mehr Bürgerbeteiligung in der Stadtplanung wird die Planungsverfahren ausdehnen, die verfügbaren Personal-Ressourcen weiter überdehnen, und die notwendige Planungskoordination weiter schwächen.

Ersten Brüche sind schon konkret erkennbar, wenn etwa Investoren eigene Bürgerbeteiligungsverfahren am Pankower Tor initieren und von tanzenden Baukränen im Jahr 2021 träumen. Doch frühestens Ende 2021 wird es am gleichen Großprojekt eine Planfeststellung für eine neue Tram-Linie geben können, deren Trassenführung wiederum von Bauplanungen des Investors abhängt.

Berlin braucht eine neue Städtebau- und Bodenpolitik!

Zwei Berliner Intitutionen haben zusammengearbeitet und jüngst eine „Bodenpolitische Agenda 2020-2030“ aufgelegt. Das Deutsche Institut für Urbanistik (DIFU) und der Bundesverband für Wohnen und Stadtentwicklung e.V. (vhW) haben es aufgeschlüsselt:

„Warum wir für eine nachhaltige und sozial gerechte Stadtentwicklungs- und Wohnungspolitik eine andere Bodenpolitik brauchen.“

In dem Eckpunktepapier heißt es: “ Der Anteil der Grundstückskosten an den Gestehungskosten einer Wohnung überschreitet in attraktiven Lagen bereits die 50 %-Grenze. Wer Bürgerinnen und Bürger mit geringen und immer häufiger sogar solche mit mittleren Einkommen auch morgen noch mit angemessenem Wohnraum versorgen will, wer attraktive, lebenswerte Städte mit einer ausreichen-
den öffentlichen Infrastruktur erhalten und dabei den Erfordernissen des Klimawandels und der Klimaanpassung gerecht werden will, der muss sich also heute mehr denn je der Bodenfrage stellen.“

Die Autoren stellen klare Forderungen:

1. Gemeinwohlorientierte Vergabe von Grundstücken der öffentlichen Hand
2. Boden- und Infrastrukturfonds einrichten
3. Vorfahrt für gezielte Bodenbevorratung und Zwischenerwerb
4. Kommunales Vorkaufsrecht weiterentwickeln
5. Stärkung der Gemeinwohlziele in der Innenentwicklung – Erweiterung der bauplanungsrechtlichen Festsetzungsmöglichkeiten
6. Innenentwicklungsmaßnahme (IEM) zeitnah einführen
7. Einführung einer Bodenwert- und Bodenflächensteuer
8. Grunderwerbsteuer weiterentwickeln (Baulandmobilisierung)
9. Notwendigkeit interkommunaler Zusammenarbeit verstärken.

In Berlin ist bereits in mehreren Bezirken ein Umdenkungsprozess in Gang. Friedrichshain-Kreuzberg ist dabei nach der Projekte und nach Level der Konfliktbereitschaft gegenüber Investoren in der Führungsposition. Was fehlt ist eine einheitliche Herangehensweise des gesamten Berliner Senates und der zuständigen Senatsverwaltungen.
Insbesondere das Instrumentarium des Besonderen Städtebaurechtes und der kommunalen Förderung kann auf neuem Niveau und mit neuen Leitbildern und innovativen Ergänzungen und Ausnahmen zur Baunutzungsverordnung wieder in Gang gesetzt werden.

Vor allem kann das Instrument des Stadtumbau (§§ 171a-171d BauGB) aktiviert werden, und mit den Instrumenten Erhaltungssatzung (§§ 172-174 BauGB), Soziale Stadt (§ 171e BauGB), Städtebauliche Geboten (§§ 175-179 BauGB) und Private Initiativen (§ 171 f BauGB) verknüpft werden.

Wenn man die bezirklichen Bau- und Stadtentwicklungsämter personell gezielt verstärkt, kann in praktisch allen 96 Ortsteilen von Berlin auch in Zusammenarbeit mit privaten und gemeinschaftlichen Initiativen sozialer und privatwirtschaftlicher Städtebau mit nachhaltigen Planungsleitbildern in Gang gesetzt werden. Akteure, Grundstücke, Baureserven, Eigenkapital, Gemeinsinn und private unternehmerische Verwantwortung sind zur Genüge vor Ort vorhanden!

Nur die koordinierende, ermöglichende und steuernde Hand der Politik fehlt! „It´s Stadtpolitik! – Stupid!“ Personalmangel kann hier nicht länger als Ausrede dienen!